Spaziergang Nr.1

Im neune Format "Spaziergänge" des Bochumer Kunstvereins bespricht Ulrich Marquardt die Installation "Naherholungsgebiet"

(Foto: D. Sadrowski)

Der Romanusplatz im Ehrenfeld oder Janna Bannings Installation „Naherholungsgebiet“. Janna Banning studiert bildende Kunst in den Niederlanden (St.Joost), an den Akademien in Karlsruhe und Stuttgart. Für ein Engagement am Schauspielhaus Bochum (Kostümabteilung) zieht sie zurück in ihre alte Heimat. Die Arbeit am Theater begreift sie heute als Zwischenspiel – Janna Banning sucht die absolut freie Kunst und sie will eine Kunst, die sämtliche Gattungsgrenzen unterläuft. Im Sinne des „Realismus“ (als ästhetische Grundhaltung) nutzt und kombiniert(!) sie verschiedene Gattungen und gestalterische Techniken, misstraut sie einer rein abbildhaften und homogenisierenden Abbildung von Wirklichkeit. Ihre Installation „Naherholungsgebiet“ greift direkt in den öffentlichen Raum ein, wählt bewusst nicht den Weg über die Galerie oder das Museum. Den Kreisverkehr „Romanus-Platz“ kennt Janna Banning seit ihrer Kindheit. Ein ungewöhnlicher Kreisverkehr. Auch ich kenne diesen Platz und der Begriff Kreisverkehr war uns Kindern nach dem Krieg gar nicht geläufig. Die große Wiese und die vielen Bänke luden zum Spielen und ausruhen ein und die kreisrunde Straße drumherum verführte uns Kinder zu kleinen Radrennen (...). Janna Banning bildet den Platz nicht malerisch oder zeichnerisch ab, arbeitet nicht mit verschiedenen historischen Fotos, die sie collageartig montieren könnte, um ihre politischen Ansichten/Einsichten visuell zu formulieren. Ihr „Kunstwerk“ ist ein Hinweisschild, ein Hinweisschild auf den Ort „Romanus-Platz“ und in diesem Sinne unterläuft ihre materielle Arbeit die Qualität „Werk“ – ihr Werk ist die Realität selbst, der „Ort Romanus-Platz“; die mit ihm verbundenen Geschichten, ihre privaten Erinnerungen, aber auch unsere Erinnerungen, sowie unsere Erfahrungen mit aktuellen Gestaltungen von Kreis-Verkehren (...). Realität zur Kunst zu erklären, hat eine lange Tradition. Tim Ulrichs signiert die Welt mit dem Kondensstreifen eines Flugzeuges, und entwirft ein Hinweisschild für die Erdkugel, Piero Manzoni stellt die Welt auf einen Sockel, Christo verhüllt Täler, Landschaften und Gebäude. Bei aller formaler und inhaltlicher Unterschiedlichkeit werden Räume, Orte oder Objekte (oder die Welt als Ganzheit) nicht abgebildet oder künstlerisch interpretiert – vielmehr wird auf das, was uns umgibt, verwiesen, wird auf dasjenige hingewiesen, was wir allzu oft gar nicht (mehr) wahrnehmen. Im Sinne einer „künstlerischen Intervention“ wird das gewohnte Sehen verunsichert, wird unser Sehen und Wahrnehmen neu dimensioniert – und nichts anderes will Janna Banning.

Allerdings verhält sich die Künstlerin nicht so indifferent wie Tim Ulrichs oder Piero Manzoni, auch wenn sie vorrangig den Betrachter zum „Künstler“ erklärt wissen will, sie seine „neue“ Wahrnehmung zum eigentlichen Inhalt ihrer Kunst erklärt. Ihr Hinweisschild trägt das Wort „Naherholungsgebiet“, ein Wort, das zugleich richtig (historisch betrachtet) und euphemistisch ist. In seiner irritierenden Ambivalenz befördert es dann zielgerichtet die Reflexion des Betrachters. Die semantische Ambivalenz des „Titels“ funktioniert dann wie eine „verbale Collage“, generiert ein ungewohntes Zusammenbringen von Bedeutungsebenen, um das scheinbar Gewohnte zu hinterfragen. Auch im Modus der Concept-Kunst bleibt Janna Banning ihrer ästhetischen Grundhaltung treu. Erwähnt werden muss noch das Licht bzw. die Beleuchtung des Hinweisschildes. Gespeist von Solarzellen leuchtet es unregelmäßig auf, mal kurz und mal lang, mal romantisch anmutend, mal nervös flackernd; es unterstreicht so den irritierenden Grundakkord des Gesamtkonzepts, und verhindert so, dass die kritische Idee nicht durch „Gewöhnung“ oder ein „gewohntes Bild“ ausgehebelt wird. Der sachkundige Bochumer wird zum Vergleich auf Günther Zins‘ lineare Skulptur (Schwebende Pyramide) am Stadionring verweisen oder auf das Werk „Stahlhalla“ von Joachim Grothus. Im Vergleich wird dann aber auch klar, dass Janna Banning sehr deutlich die Geschichte(n) des konkreten Ortes, sogar des konkreten Platzes, thematisiert. Günther Zins nimmt eine rein fomal-ästhetische Haltung ein und die Stahlkonstruktion von Grothus verweist ganz allgemein auf die Industriegeschichte der Region. Es geht der Künstlerin ganz sicher um die Infragestellung einer am Auto orientierten Gestaltung unserer Lebensräume (...) es geht aber auch um Pater Romanus, der von den Nazis in den Tod getrieben wurde (...), um die Frage des Orts-Namens „Ehrenfeld“ (nach dem Sieg über Frankreich 70/71 „geschaffen“). Ich könnte noch viele Geschichten anfügen – ich muss aber zugleich gestehen, dass auch mir die eben angefügten „Geschichten“ bisher unbekannt waren. Als Kind hatte ich immer stolz erzählt: „Wer was auf sich hält, kommt aus dem Ehrenfeld.“ ... ich wohnte nicht in Ehrenfeld, sondern im Ehrenfeld.

Hinweis: Am Fuß des Kunstwerkes bekommt man einen Link zur Homepage von Janna Banning. Die Werke der Künstler Christo, Ulrichs etc. findet man problemlos im Internet, ebenso die genannten Kreisverkehre in Bochum.


Text: Ulrich Marquardt, Januar 2021